Bücher riechen II

21. April 2012

Es gibt unangenehme Gerüche, unbestreitbar. Viel zuviele Mittel, die im Haushalt verwandt werden, sind mit diversen Gestänken ausgerüstet, um die Nase zu traktieren und und vorsorgend wider ihresgleichen abzuhärten.
    In diesem Sinne ist es mit das Schlimmste, was einem Buch geschehen kann, wenn sein ihm eigentümlicher Geruch von einem anderen überlagert, ausgelöscht wird. Dann stinkt es im häufigsten Fall nach Rauch, gleich ob dem von Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen. Empfindliche Riechorgane senden solche Bücher postwendend folienverschweißt retour. Auslüften ist sinnlos, unter einem Plastikzelt langsam aufgeblättert einem Parfüm aussetzen oder ähnliche Methoden sind zeitraubend.
    Einmal tat ich es mit einem Buch, das ich bei einem Kollegen erworben hatte, der einige Zeit zuvor einen Brandschaden zu beklagen hatte: Kinder hatte unter seinem Laden ein Feuerchen entfacht, und der Qualm davon seine Bücher geräuchert. Völlig habe ich den beißenden Höllenruch nicht entfernen können.
    Das einzige absichtlich parfümierte Buch, an das ich mich entsinne, ist die deutsche Erstausgabe von Stefan Themerson: „Professor Mmaa’s lecture“. Da ich das Buch während des Studiums im modernen Antiquariat erwarb, hatte es wohl schon einige Zeit auf dem Buchrücken; mir schien, als ginge der sanfte Termiten-anziehende Duft vom Falzbereich aus. Die englische Originalausgabe von 1953 ermangelt der künstlichen Odeur und riecht nur nach Papier, etwas alt, mit ganz wenig Holz im Hintergrund. Auf ihrem Schutzumschlag befindet sich vorn die Außenansicht eines Termitenhügels, hinten ein Querschnitt davon, was mich an Böcklins „Toteninsel“ denken läßt.
    Bereits im ersten Blogbetrag zu diesem Thema habe ich mich über moderne Druckfarben ausgelassen: sie riechen teils sehr unangenehm, überdecken somit alles andere, was sich am Buch ebenfalls geruchlich offenbaren möchte. Digidruck ist kaum so aufdringlich wie die Offsetfarben, vor allem jene der bunten Kataloge. Diese reine Chemiebeigabe möchte ich im Grunde von den buchtypischen, bucheigenen Gerüchen ausnehmen und zu den böswillig hinzugefügten Akzidentien rechnen. Bei frisch gestrichenen Fenstern oder Türen vielleicht per zeitweiliger Abwesenheit des Riechers erträglich, im Buch völlig unpassend. Zu meiner Freude bemerke ich, daß Steidls Nase ebenso empfindlich wie meine zu sein scheint: am jüngst erworbenen Photobuch nehme ich den cremigen Geruch des Papiers wahr. Enttäuschend dagegen der gestern eingetroffene Katalog eines englischen Kollegen: Farbtafeln mit dem Lösungsmittelgestank von Universalverdünner.
    Damit klar wird, was ich mit diesen Sätzen auszudrücken beabsichtige: die heutige Zeit steht auf immer stärkere Reize, die blutigen Fleischteile und Kadaverdarbietungen in diversen CSI- & Leichenbeschauer-Serien sind optisches Exempel. Nur meine ich, ganz im Widersinn zum Zeitlauf, daß die Sinne sinnlicher, empfänglicher werden sollten, geschult, nicht abgestumpft.

    PS
Ach, ja. Wie kam ich überhaupt auf die Idee, mich dieses Themas nochmals anzunehmen? Ein wohl allseits bekannter Herr namens Karl Lagerfeld hat mit Hilfe des Berliner Parfümeur Geza Schön ein Parfüm „Paper Passion“ kreiert, das Nuancen von Osmanthus und Moschus enthalten soll, und dem Duft neuer Druckerzeugnisse (siehe oben!) entsprechen, nicht etwa, wie der „Focus“ einfältigerweise zu bemerken beliebt, dem „modrigen Geruch, der alten Büchern oft anhaftet“ (man scheint bei ‚alten Büchern’ reflexartig an Grabbeigaben und Kellerverliese zu denken). Und weiter in dieser Oberflächenkratzerzeitschrift: „‚Papier riecht industriell, trocken und fettig’, beschreibt Schön.“ Oh, ja. so ist das, oder soll es sein, wenn man nicht hinriecht – und was bitte ist ein ‚industrieller’ Geruch, der nach Maschinenöl oder der von Robotern?
    Allein der Gedanke, Papier habe einen Geruch, ist eine Bucheslästerung. Papier ist so vielgerüchig wie seine Herstellungsmethoden. Und altes muß noch lange nicht unangenehm duften, sondern kann durchaus, wie in Folge eins beschrieben, dem Riechorgan wohltuend sein. Auch darum sammeln wir Bibliophile Bücher!

Hier die Geruchspur zu Teil I.

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